Julia by Fortier Anne
Autor:Fortier, Anne
Format: epub, mobi
Tags: Roman
ISBN: 3810506788
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2010-04-29T22:00:00+00:00
Schwer zu sagen, ab wann es mit meiner Beziehung zu Janice bergab gegangen war. Als Kinder hatten wir uns viel gestritten, aber das ist bei den meisten Leuten so, und die überwältigende Mehrheit der Menschheit schafft es trotzdem irgendwie, das Erwachsenenalter zu erreichen, ohne die Liebe ihrer Geschwister ganz und gar zu verlieren.
Nicht so bei uns. Mit meinen nunmehr fünfundzwanzig Jahren konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich meine Schwester das letzte Mal umarmt oder ein Gespräch mit ihr geführt hatte, das nicht sofort in einen kindischen Streit ausartete. Wenn wir uns trafen, benahmen wir uns jedes Mal, als wären wir wieder acht, und fielen zurück auf die primitivsten Formen des Argumentierens. »Weil ich es sage!« und »Ich hatte es zuerst!« sind Äußerungen, die die meisten Leute problemlos als Spuren einer barbarischen Vorzeit ablegen, genau wie Babydeckchen und Schnuller. Für Janice und mich bildeten sie die philosophischen Eckpfeiler unserer ganzen Beziehung.
Tante Rose hatte grundsätzlich die Meinung vertreten, dass sich das alles mit der Zeit von selbst erledigen würde, vorausgesetzt, es herrschte eine gerechte Verteilung von Liebe und Süßigkeiten. Jedes Mal, wenn wir sie um einen Schiedsspruch baten, war sie schon genervt, noch ehe sie sich unser Problem überhaupt angehört hatte - schließlich handelte es sich nur um eines von vielen, die sich um sie herum aufhäuften. Für gewöhnlich bekamen wir dann eine Standardantwort, die mit teilen oder sich vertragen zu tun hatte. »Nun kommt schon!«, sagte sie meistens, während sie nach der Kristallschale mit den Schokoladenbrezeln griff, »seid brave Mädchen! Julie, sei nett zu Janice und leihe ihr ...« - was auch immer es war ... Puppe, Buch, Gürtel, Tasche, Hut, Stiefel, »damit hier endlich wieder Frieden herrscht, in Gottes Namen!«
Was unweigerlich dazu führte, dass wir sie jedes Mal mit neuem Zündstoff verließen, weil Janice sich höhnisch grinsend über meinen Verlust und ihren unverdienten Gewinn amüsierte. Dass sie ständig etwas von mir wollte, lag daran, dass ihr eigenes Zeug entweder kaputt oder »am Ende« war und sie es einfacher fand, sich meine Sachen unter den Nagel zu reißen, als Geld zu verdienen und sich etwas Neues zu kaufen. Jedes Mal, wenn wir Tante Roses Lehnsessel verließen, hatte wieder mal eine Umverteilung von Reichtum stattgefunden: Ich hatte etwas verloren, das eigentlich mir gehörte, und als Entschädigung nur eine trockene Schokobrezel aus der Kristallschale bekommen. Trotz ihrer ewigen Litaneien über Gerechtigkeit löste Tante Rose fortwährend hässliche unerwünschte Folgen aus. Der ganze höllische Pfad meiner Jugend war mit ihren guten Absichten gepflastert.
Während meiner Highschool-Zeit machte ich mir gar nicht mehr erst die Mühe, sie um Hilfe zu bitten, sondern rannte gleich in die Küche, um mich bei Umberto zu beschweren, der - meiner Erinnerung nach - immer damit beschäftigt war, von lauter Opernmusik beschallt die Messer zu schleifen. Jedes Mal, wenn ich auf das alte »Aber das ist nicht gerecht!« zurückgriff, konterte er mit: »Wer hat behauptet, das Leben sei gerecht?« Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, fragte er dann meist: »Und was soll ich deiner Meinung nach dagegen tun?«
Als ich
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